Die beiden Seiten (des Kredites)

Stand 11.4.11

Zinsen auf Erspartes! Warum eigentlich?

Jeder erwartet für sein Erspartes (Geldguthaben auf einem Bankkonto) eine Belohnung in Form einer Zinsgutschrift. Keiner würde dies in Frage stellen. Aber warum ist dies so, und warum wird dies in keiner Weise hinterfragt?

In der klassischen Betriebswirtschaftslehre wird argumentiert, dass der Zins ein Lohn für Liquiditäts-Verzicht ist. Da soll heißen, ich stelle meine Erspartes der Allgemeinheit als Kredit zur Verfügung, verzichte somit auf (jetzt wird's schon schwierig) Liquidität, und erhalte dadurch eine Verzichtsprämie den Zins.

Aber jetzt mal ehrlich, ich kann mir nicht vorstellen, dass die "echten" Kapitalbesitzer auf irgendetwas verzichtet. Wer Geld übrig hat legt es gewinnträchtig an. Die Kreditinstitute haben dann dafür zu sorgen, dass sie einen Schuldner finden, der diesen Liquiditäts-Verzicht schön belohnt.

Dass es zu jedem Euro Guthaben ebenso einen Euro Schulden geben muss, das bestätigt auch nachfolgendes Diagramm. Im Mai 2010 stand einem auf 7,68 Billionen angewachsenes Geldvermögen ein Schuldenberg von 7,75 Billionen Euro gegenüber.

Der Kehrschluss: Wird der Kreditgeber durch Zinszahlungen belohnt, dann wird folglich der Kreditnehmer durch Zinszahlung bestraft? Sind Kredite nicht ein Geben und Nehmen, je eine Seite der Medaille.

Ist es nicht so, dass es den Kreditgeber ohne den Kreditnehmer gar nicht geben würde? Ist es nicht vielmehr so, dass der Kreditgeber dem Wirtschaftskreislauf das Schmiermittel Geld entzieht, indem er es auf der Bank sicher lagert? Erst wenn der Schuldner einen Kredit aufnimmt, um zu investieren, erst dann wird dieses geparkte Schmiermittel wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt.

Paradoxon: Gebührt nicht eher dem Investor, da er ja das Risiko einer Fehlinvestition tragen muss, der Zinsaufschlag? Logischerweise stellt sich diese Frage, aber wie gesagt diese Medaille hat zwei Seiten, warum also streichen wir nicht einfach den Zins.

Gleichnis von den anvertrauten Talenten
(Gleichnis aus dem Matthäus Evangelium, einfach mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet)


Bei der üblichen Interpretation des Gleichnisses werden die Talente weniger als Zahlungsmittel, sondern eher als die menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, gesehen. Man solle mit seinen, von Gott erhaltenen Gaben, wirtschaften und handeln, eben gewinnbringend agieren. Der dritte Knecht, der nur darauf bedacht war nichts falsch zu machen, der nichts riskiert hat um nur ja keine Fehler zu machen, der wurde von seinem Herrn bestraft.

Wenn ich die Talente nun aber als Geld, als Zahlungsmittel betrachte, ergibt sich durchaus ein interessanter monetärer Blickwinkel. Warum wir heute ein Bankguthaben mit einer Zinsgutschrift belohnen entbehrt jeder Berechtigung
[1]. Man hat keine Arbeit und keine Risiko und wird trotzdem belohnt. Ich lege mein Kapital in die Hände der Kreditinstitute und lasse für mich arbeiten. Mir kann ja nichts passieren. Ich meine genau (auch) das soll dieses Gleichnis aussagen.

Ein Misserfolg beim Arbeiten mit dem Kapital des Herrn war im Gleichnis nicht vorgesehenen. Sehr wohl hätte dies einen der ersten beiden Knechte treffen können. Aber nicht der ausbleibende Erfolg oder Misserfolg wird im Gleichnis angeprangert, sondern das Verhalten des dritten Knechts [2]. Sind Menschen nur ängstlich darauf bedacht, für sich selbst keine Nachteile zu riskieren, dann wird sich an den ungerechten Zuständen unserer Welt auch nichts ändern. Dann werden weiterhin die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer.

Fazit: Nur das Arbeiten mit den Talenten (im doppeldeutigen Sinne, Kapital und Eigenschaften) wird belohnt. Das Nichtstun dagegen wird bestraft. Seine Talente zu vergraben bedeutet, dass ich nichts tue. Ok, ich ruhe mich auf meinen Erfolgen aus, oder ich lege mir etwas für schlechte Zeiten zurück. Sein Kapital aber in Kreditinstituten zinsbringend anzulegen bedeutet Nichtstun und dafür auch noch belohnt zu werden. Belohnt durch Zinsen, die andere Menschen für mich erarbeiten müssen.

Talent (Auszug aus Wikipedia) Marcus Licinius Crassus , der als reichster Römer zur Zeit Julius Cäsars gilt, hatte am Ende seines Lebens ein Vermögen von 7100 Talenten. Ein Sklave kostete ca. 3 Minen. 1.000 Bogenschützen kosteten 50 Talente + 8 Talente für ihre Ausrüstung. Der Lohn eines Bogenschützen lag bei 2 - 3 Obolen pro Tag. (1 Talent = 60 Minen / 1 Mine = 100 Drachmen / 1 Drachme = 6 Obolen)

[1] Das Bankguthaben ist der Gegenwert einer ausgeführten Dienstleistung. Diese Leistungen werden einmalig abgegolten. Niemand würde auf die Idee kommen nach einem Jahr nochmals einen Zuschlag für z.B. ein repariertes Dach zu zahlen.

[2] (Gleichnis von den anvertrauten Talenten) Der dritte Knecht hat die Talente seiner Zeit entsprechend sicher verwahrt, indem er sie vergraben hat. Das Vergraben galt damals als die sicherste Form der Geld-Aufbewahrung. Wer anvertrautes Geld aufbewahrt hat, indem er es vergraben hat, der war im Fall, dass es trotzdem gestohlen wurde, von der Haftung befreit. Heute bieten uns Kreditinstitute diese Sicherheit, ein Vergraben ist nicht mehr notwendig.