Wirtschafts-Wachstums(un)sinn
Stand 29.3.11

Erzwingt der Zins das Wirtschaftswachstum?

Dass die Wirtschaft [1] wachsen muss, da sind sich unsere Ökonomen und Wirtschaftsweisen einig. Es sei eine unabdingbare Voraussetzung für das Wohl und Gedeihen unseres Volkes. Tatsache und ohne Zweifel, wir brauchen Wachstum, sonst bricht unser Wohlstand [2] ein.

Hast du dich je gefragt, warum das so ist? Warum benötigt ein industriell hoch entwickeltes Land wie Deutschland trotz sinkender Einwohnerzahl [3] ein Wirtschaftswachstum?

Am nachfolgenden Beispiel will ich zeigen, wie unser Wirtschaftswachstum zu verstehen ist.

Ausgangspunkt: Eine Stadt mit 100 Häusern. Jedes Jahr werden neue Häuser gebaut.

Exponentielles Wachstum: Würde die Stadt, wie ein "gewünschtes" Wirtschaftswachstum um jährlich 2% wachsen (exponentielles Wachstum), dann wäre die Stadt nach 60 Jahren um das 12fache auf 1263 Häuser angewachsen.

Lineares Wachstum: Würden in der Stadt jedes Jahr "nur" 10 neue Häuser gebaut (und nichts müsste ersetzt werden), dann hätten wir ein lineares Wachstum. Auch hier würde sich die Stadtgröße auf 700 Häuser vergrößern. In der Wirtschaft [4] nennt sich dies dann Nullwachstum.

Natürliches Wachstum: In Wirklichkeit wird die Stadt "natürlich" wachsen. Natürlich bedeutet, irgendwann wird sich die Häuserzahl nicht mehr vergrößern. Die Stadtgröße wird sich auf ein einwohnergerechtes Maß einpendeln. Der Häuserneubau wird den Schwund durch Abriss und Renovation ausgleichen.

Anhand dieses Beispiels wird schnell sichtbar, dass die Wunschvorstellung eines 2%tigen Wirtschaftswachstum nicht möglich ist. Ein stetiges Wirtschaftswachstum ist ein exponentielles Wachstum, das in einem begrenzten Raum, wie die Erde, nicht möglich ist. Dies gilt genauso für ein lineares Wachstum. Auch hier werden irgendwann alle Grenzen gesprengt, es dauert nur etwas länger.

Nullwachstum: Angenommen, in einer Stadt werden jedes Jahre 10 Häuser gebaut. Die Stadt wächst, wenn auch langsam, zur Großstadt heran, und platzt irgendwann aus allen Nähten. Im Sinne unseres Wirtschaftswachstums-Denken nennt sich das dann Nullwachstum, denn das Wirtschaftswachstum wird ausschließlich in Euro gerechnet. Der Bau von jährlich 10 neuen Häusern bringt somit keinerlei zusätzliches Wirtschaftswachstum [5] mit sich.

Dass das Städtewachstum nicht unendlich so weitergehen kann, liegt auf der Hand. Natürlich werden in jeder Stadt auch alte Häuser abgerissen und ersetzt, und irgendwann hat die Häuserzahl eine Größenordnung erreicht, in der die Neubauten die Abrisse ausgleichen. Dadurch bremst sich das (Häuser)Wachstum selbst und kommt irgendwann zum Erliegen, so dass sich eine "natürliche" Städtegröße bildet.

Wirtschaftswachstum ist Wachstum des Bruttoinlandsproduktes:
Ersetzt man nun Städtewachstum durch BIP (Bruttoinlandsprodukt), dann sieht man, wie das mit unserem (Wirtschafts)Wachstum zu verstehen ist. Von öffentlichem Interesse sind nur die Euro-Billionen, die unser BIP hervorbringt. Entscheidend ist nur, um wie viel Prozent es denn wieder angewachsen ist. Qualität und Quantität unseres BIP scheint bedeutungslos zu sein. Niemand interessiert wie effektiv unser BIP erwirtschaftet und wieder verteilt wird. Offensichtlich ist es absolut unwichtig wie man zu einem 2,5-Billionen-BIP kommt. Ein Wirtschaftswachstum entsteht zum Beispiel auch, wenn die Zahl der Krankenhausaufenthalte oder die Zahl der Krebs-Patienten steigen (Chemotherapie kostet richtig Geld). Verheerend für das BIP und das BIP-Wachstum ist es auch, wenn das Volk plötzlich großflächig gesunden würde.

Wirtschaftswachstum: Wir brauchen ein Wirtschaftswachstum, so die öffentliche Meinung, sonst bricht unsere Wirtschaft ein. Aber hast du dich jemals gefragt, warum wir ein Wirtschaftswachstum brauchen? Da es offensichtlich absolut uninteressant ist wie man zu einem BIP-Wachstum kommt, sollte man die Frage einfach neu formulieren. So zum Beispiel:

Wem nützt das Wirtschaftswachstum?

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die erbrachte Jahres-Arbeits-Leistung eines Volkes. Natürlich ist es eine prima Sache, wenn die Leistungen, eines Volkes stetig steigen. In den vergangenen 60 Jahren ist die Produktivität in Sach- und Dienstleistung (inklusive Inflation) von 50 Milliarden auf 2.500 Milliarden Euro angestiegen.

Im Jahr 1991 betrugen die Bruttolöhne und -gehälter 691 Milliarden Euro. Gemessen am BIP kann man sagen, dass 45% der erwirtschafteten Volksleistung wieder an die Lohn- und Gehaltsempfänger zurückverteilt wird. Knapp 20 Jahre später 2010 wurden dagegen nur noch 41% der Volksleistung zurückverteilt.

Ganz grob kann man sagen, die Lohnquote in Deutschland lag in den 10 Jahren von 1972 - 1982 relativ konstant bei 46%, um dann langsam auf 41% zu sinken. Einen kleinen Höhenflug brachte 1991 - 1993 die Wiedervereinigung Deutschlands.

Hier wird deutlich sichtbar, dass sich der Kuchenanteil vom BIP für die Arbeitnehmer stetig verkleinert. Trotz Wachstum des BIP erhalten die Arbeitnehmer nicht mehr ihren 46%tigen Anteil aus den 80er Jahren, sondern nur noch 41% (im Jahr 2010). Das Wachstum der Löhne hat sich gegenüber dem BIP-Wachstum in den letzten 19 Jahren stetig verlangsamt.

Das von unseren Politikern, Ökonomen und Wirtschaftsweisen geforderte und auch entstandene Wirtschaftswachstum kommt nicht bei den Lohn- und Gehaltsempfängern an!

Damit ist zwar nicht die Frage "Wem nützt das Wirtschaftswachstum" beantwortet, aber dass die Lohn- und Gehaltsempfänger keinen Gewinn aus ihrem zusätzlich Erwirtschaftetem ziehen können, ist eine traurige Tatsache. Nachfolgendes Schaubild zeigt die eigentlichen Gewinner, die Kapitalbesitzer. Das Wachstum der Zinserträge zeigt deutlich, warum wir ein Wirtschaftswachstum benötigen. Die jährlichen Zinserträge für die Kapitalbesitzer müssen erwirtschaftet werden, nur was dann noch übrig bleibt steht zur Verteilung an.

Hier wird ersichtlich, dass sich der BIP-Kuchenanteil für die Zinsertragsempfänger stetig vergrößert. Das bedeutet, der Anteil vom Bruttoinlandsprodukt vergrößert sich zum Vorteil der Kapitalbesitzer. Auch bei den Lohn- und Gehaltsempfängern gibt es Kapitalbesitzer, die von dieser Entwicklung profitieren, aber man schätzt, dass ca. 80% der in Deutschland [6] lebenden Menschen von dieser Entwicklung benachteiligt werden. Benachteiligt dadurch, dass sich trotz Leistungssteigerung [7] der Anteil am BIP für sie stetig verringert.

Wachstums(un)sinn: Für mich ist der Zusammenhang zwischen Zins/Zinseszins und Wachstum eindeutig. Wenn das Wachstum des BIP genügend hoch ist, dann wird dies vom Lohn- und Gehaltsempfänger nicht bemerkt. Er kann sich von seinem Einkommen dasselbe leisten wie im Jahr zuvor. Dass sein Anteil am BIP für ihn sinkt bemerkt er nicht. Problematisch wird es erst, wenn das Wachstum einbricht, stagniert oder gar sinkt, denn dann erhält er weniger vom BIP-Kuchen.

[1] Gemeint ist aber immer das monetäre Wachstum des BIP, das wachsen soll. Ob die Wirtschaft auch tatsächlich wächst interessiert niemanden. Wenn beispielsweise durch vermehrte Krankheiten die Gesundheitskosten steigen, Reparaturkosten durch mehr Unfälle, Kriegseinsätze in Afghanistan, oder Polizeieinsatz für S21, immer steigt dadurch das BIP.
[2] Jedenfalls im momentan vorhandenen (Geld)System.
[3] Einwohnerzahl in Deutschland sinkt (Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 2011) 2006 = 82,31 Millionen / 2009 = 81,82 Millionen Einwohner.
[4] Redet man vom Wirtschaftswachstum, dann meint man immer das monetäre Wachstum. Wenn ich jedes Jahr "nur" 10 neue Häuser baue, dann wird auch nur die Geldmenge für 10 Häuser umgesetzt.
[5] Inflationsraten erzwingen natürlich ansteigen der Häuserpreise. Wenn wir aber von einem realen (inflationsbereinigtem) Wirtschaftswachstum ausgehen, dann spielen Preiserhöhungen durch Inflation keine Rolle.
[6] Quelle: Helmut Creutz siehe Grafik Zinsumverteilungs-Ermittlung
[7] Steigerung der Leistung = Wachstum des BIP. Trotz Steigerung der Fertigungsautomation, letztendlich sind es immer die Menschen, die ein BIP produzieren.